Ich hatte bereits den ganzen Tag Kopfschmerzen und dachte, ich hätte wie so oft zu wenig getrunken. Dafür hatte ich beim Tanztraining einfach keine Zeit. Meine Partnerin und ich übten Samba. Plötzlich wurde mir schwindlig, dann kippte ich um. Alle waren sehr geschockt, meine Tanzpartnerin begann zu weinen. Fünf Minuten später kam bereits der Krankenwagen, doch das habe ich schon nicht mehr mitbekommen.
Wo bin ich?
Ich lag zehn Tage im Koma und hatte schlimme Albträume. Sie waren so intensiv, dass ich sie für real hielt. Als ich wieder aufwachte, verstand ich nicht, wo ich war. Was war passiert? Mein Arm und mein Fuss fühlten sich merkwürdig an. Mama und Papa kamen ins Zimmer und weinten. Meine Mutter versuchte, mir zu erklären, dass ich einen Hirnschlag und zusätzlich eine Blutung gehabt hatte. Ich verstand nur teilweise, was sie mir erklärte. Neben mir lag mein Handy, ich hatte keine Ahnung mehr, was das ist. Ich hatte es einfach vergessen. Auf dem Nachttisch lagen Karten mit Genesungswünschen, die ich nicht lesen konnte. Ich konnte überhaupt nicht mehr lesen. Ich fühlte mich wie ein grosses Baby.
Man setzte mich in einen Rollstuhl.
Ich dachte, das sei nicht nötig. Als ich zum Bett gehen wollte, kippte ich um. Ich konnte nicht mehr gehen. Nach zwei Wochen wurde ich in die Rehaklinik Valens verlegt. Dort gab es andere Menschen, die mein Schicksal teilten.
Schweiss, Tränen und harte Arbeit
Nach mehreren Wochen Therapie konnte ich wieder kurze Strecken mit einem Stock gehen. Es war harte Arbeit, ich machte aber gute Fortschritte und war bald nicht mehr auf den Rollstuhl angewiesen. Ich übte auch immer wieder allein und bin dabei oft gestürzt. Das Sprechen fiel mir weiterhin sehr schwer. Meist verstanden nur meine Eltern, was ich meinte. Dass ich in der Logopädie keine Fortschritte machte, war sehr frustrierend. Ich wollte zurück nach Hause, ich hatte auch genug von den Bergen.
Wieder daheim bei meinen Eltern ging ich täglich in eine Klinik in Winterthur zur Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie. Meine Logopädin war nur etwas älter als ich, die Chemie stimmte. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich nicht aufgegeben hatte. Das war sehr motivierend und ich machte gute Fortschritte.
«Neben mir lag mein Handy, doch ich hatte keine Ahnung, was das ist.»
Nach etwa zwei Jahren sprach mich der Chef der Klinik auf die Institution Andante an. Er meinte, ich müsse nach vorne schauen. Die Stiftung Andante bietet Menschen mit einer Hirnverletzung oder anderen Einschränkungen eine Tagestruktur. Bei der ersten Besichtigung gefiel mir das Tageszentrum der Stiftung Andante nicht.
Ich dachte, ich werde einfach aufs Abstellgleis geschoben. Nach einem halben Jahr unternahmen meine Eltern einen zweiten Anlauf. Sie meinten, dass ich nur noch faulenze und nichts mehr mache. Zähneknirschend stimmte
ich zu, es mit der Arbeit im Tageszentrum der Stiftung Andante zu versuchen. Die ersten drei Monate schlief ich am Abend nach der Arbeit schon um 19 Uhr ein, so kaputt war ich. Die Tagesstruktur war für mich gut, ich hatte wieder eine Aufgabe, was mir Mut machte. Ich war insgesamt fünf Jahre dort.
Eine coole Zeit
Mein Leben vor dem Hirnschlag war rasant. Meine vielen Termine gaben mir Struktur. Ich war fast nie zu Hause. Ich hatte meine Schneiderlehre abgeschlossen und besuchte noch die KME, die Kantonale Maturitätsschule für Erwachsene. Ich liebe Sprachen und hatte vor, Russisch zu lernen. Nebenbei arbeitete ich im Jack & Jones als Springer. Ich ging fünf- bis sechsmal pro Woche tanzen und traf auch Freundinnen und Freunde. Ich machte Musik, spielte Saxophon, Querflöte und Horn. Mein Leben war toll, Musik hatte eine sehr grosse Bedeutung. Ich bin mit meinem Musikverein bis heute in Kontakt. Dieser finanzierte sogar den Umbau meiner Querflöte mit, damit ich sie einhändig spielen konnte. Leider bekam ich vom Spielen Kopfschmerzen und musste schweren Herzens damit aufhören.
«Ich habe mich mit meiner Krankheit abgefunden und das ist auch gut so.»
Die andere grosse Leidenschaft in meinem Leben war der Tanz. Ich nahm mit meiner Tanzpartnerin sieben Jahre lang an vielen Wettkämpfen teil. Das Feeling war unbeschreiblich, der Kick grossartig. Das Adrenalin, die anderen Tänzerinnen und Tänzer, das Fiebern vor einem Wettkampf, alles war toll. Ich trainierte mindestens fünf Tage pro Woche. Nach dem Hirnschlag brachen viele den Kontakt zu mir ab. Ich war traurig und wütend. Es war eine schlimme Zeit für mich, denn ich hatte erwartet, dass sie mich unterstützen. Mein Freundeskreis ist rapide geschrumpft. Heute weiss ich, auf wen ich mich verlassen kann.
Nicht unterkriegen lassen
Heute weiss ich, wohin ich will: in einer grossen Firma als Mediamatiker arbeiten und nach vorne schauen. Nie mehr zurückschauen!
Klar ist das nicht so leicht, aber ich schaffe es. Ich habe mich mit meiner Krankheit abgefunden und das ist auch gut so. Ich habe grosse Pläne und möchte nächstes Jahr nach meinem Ausbildungsabschluss eine längere Reise
nach Japan machen. Ich schaue gerne Anime, das sind japanische Zeichentrickfilme, und diese Kultur fasziniert mich. Ich muss noch 5'000 Franken auftreiben und dann geht es los. Seit Juni lerne ich Japanisch in der Migros Klubschule und übe die Sprache zusätzlich mit einer japanischen Kollegin. Reisen bedeutet Abenteuer, es gibt so viel zu entdecken. Ich freue mich auf die Zukunft.
Info Hirnschlag
In der Schweiz erleiden jährlich etwa 16'000 Personen einen Schlaganfall (Hirnschlag). Ursachen hierfür können schwere Kopfverletzungen, eine Störung der Blutgerinnung oder eine Schädigung der Blutgefässe im Gehirn sein. In ca. 20% der Fälle ist eine Hirnblutung ursächlich. Mögliche Symptome für einen Schlaganfall sind eine einseitige Lähmung oder ein Taubheitsgefühl, Seh- oder Sprechstörungen und Schwindel. Oft verursacht ein Schlaganfall keine Schmerzen. Lediglich bei einer Gehirnblutung treten starke Kopfschmerzen auf. Bei der Behandlung von Schlaganfällen zählt jede Minute, daher ist es wichtig, die Symptome schnell zu erkennen und den Notruf 144 zu alarmieren.
Je schneller eine Behandlung erfolgt, umso grösser sind die Überlebenschancen.