Endlich war es soweit, die Ausbildungsreise im Juli 2019 konnte beginnen. Für unsere Reise nach Amsterdam hatten wir einen Car mit einer Hebebühne. Im Inneren hatte es ein paar Sitzreihen für die Betreuenden, der Rest war für uns Rollstuhlfahrende. Während der Fahrt wünschte ich mir, man könnte Menschen einfach von einem Ort zum nächsten beamen. Bei Sonnenuntergang erreichten wir endlich unser Hotel in De Rijp, einem kleinen Städtchen in der Nähe von Amsterdam. Unser Hotel war eine Mischung aus Hogwarts und einem Brockenhaus, überall standen oder hingen skurrile Objekte, dort eine Modelleisenbahn, da ein Flugzeug oder Autoteile. Das Hotel war ein Glückstreffer, da es alles andere als einfach ist, ein passendes Hotel für elf Rollstuhlfahrende und elf Betreuende zu finden. Ich wollte schon immer mal nach Holland. Für mich ist es ein vielseitiges Land, das man besucht haben muss, und das nicht nur wegen der liberalen Drogengesetzgebung.

Zeitreise in die Vergangenheit

Endlich war der Freitag gekommen, an dem ich Amsterdam kennenlernen würde. Darauf hatte ich mich besonders gefreut. Leider mussten wir früh aufstehen. Es war sehr schwierig, mit unserem grossen Car einen Parkplatz in der Innenstadt zu finden. Zum Glück hatten wir einen selbstbewussten Chauffeur. Am Ende parkten wir auf dem Veloweg, was durchaus Mut erfordert, denn schliesslich haben in Holland die Velofahrer das Sagen. Die Reiseführerin der Anne-Frank-Tour erwartete uns im Jüdischen Viertel. Sie erzählte uns die tragische Geschichte von Anne Frank und zeigte uns wichtige Orte ihres Lebens. Ich finde das Schicksal von Anne sehr traurig, wie sie und ihre Familie von den Nazis verfolgt wurden und wie sie sich verstecken musste. All dies hat sie in ihrem Tagebuch festgehalten. Schliesslich wurde sie verraten und kam mit 15 Jahren kurz vor Kriegsende in einem KZ ums Leben. Wenn man sich die fröhlichen Menschen und das bunte Treiben in Amsterdam heute ansieht, ist es kaum vorstellbar, welch schreckliche Zeiten diese Stadt hinter sich hat. Auch wir konzentrierten uns nach der Tour wieder auf die Gegenwart. Einige gingen shoppen, andere etwas trinken. Ben kurvte mit einem Betreuer auf seinen Rollerblades im Schlepptau herum. Der Akku meines Rollstuhls war leer, also musste ich einen Boxenstopp in einem Restaurant einlegen. Am Abend besuchten wir das Openluchttheater im Vondelpark. Was ist mir von diesem Theaterbesuch in Erinnerung geblieben? Zuerst tanzten sie auf der Bühne und dann zogen sie sich aus. Ich fand das sehr komisch, weil das nichts mit Theater zu tun hat, wie ich es mir vorstelle. Zurück im Hotel liessen wir einen Tag mit vielen Eindrücken an der Bar ausklingen.

Das Tor zur Welt

Am Samstag besuchten wir Rotterdam. Auf der Rundfahrt durch den Hafen sahen wir riesige Schiffe und Kräne. Einige fanden diese Riesendinger spektakulär, mich beeindruckten sie wenig. Ausserdem stank es zwei Stunden lang wie in einem Katzenklo. Als wir endlich wieder am Steg anlegten, wurden wir als Letzte aus­geladen, als hätten wir ein Ticket dritter Klasse gelöst. Danach wollten wir uns in mehrere Gruppen aufteilen, was fast so lang in Anspruch nahm wie die Rundfahrt. Einige gingen shoppen oder fuhren im Regen herum. Ich fuhr mit ein paar anderen direkt zu den Foodhallen, wo wir uns später alle zum Essen treffen wollten. Leider war der Treppenlift dort zu schwach für unsere Rollstühle, die über 250 kg wiegen. Das entspricht dem Gewicht von einem halben Fiat 500. Zum Glück gab es noch einen Warenlift, sonst wären wir im Regen stehen geblieben. Die Foodhallen waren das reinste Schlaraffenland. Es gab alles von griechischen Pita über mexikanische Tacos und holländische Bitterballs bis zu Caribbean Surinam. Man musste dafür keine Weltreise unternehmen, sondern nur ein paar Meter zurücklegen, was für uns Rollstuhlfahrende ideal war. Meine Menüwahl war dann allerdings nicht allzu exotisch. Ich bestellte mir einen Burger. Die Betreuenden hingegen machten sich über undefinierbare vegane Sachen her.

Qualmende Reifen und Meeresbrise

Am Sonntag fuhren wie nach Zandvoort. Für mich war das der beste Tag der gesamten Reise. Zandvoort liegt am Meer und hat einen langen Sandstrand mit Dünen. Es ist sehr schön, vor allem wenn die Sonne scheint. Manche von uns Rollstuhlfahrenden sind schon auf dem Parkplatz im Sand stecken geblieben und mussten von Betreuenden rausgezogen werden. Zunächst besuchten wir den Circuit Park in Zandvoort, eine Rennstrecke, auf der früher sogar Formel-1-Rennen stattfanden. Bei unserem Besuch fanden vor allem Rennen mit Oldtimern statt, die wir neben der Strecke bestaunten. Das Mini-Cooper-Rennen war sehr spannend, unglaublich welche Geschwindigkeit diese Autos erreichten. Etwas Besonderes an dieser Rennstrecke sind auch Wetterelemente wie Wind oder Regen und das Gefühl der salzigen Brise im Gesicht. Später gingen die Mutigen im Meer baden. Für Ben war dies das schönste Erlebnies der Reise. Ich wollte mich lieber etwas aufwärmen und nicht in der Nähe von Industrieanlagen baden. Ben blieb einmal mehr im Sand stecken. Bei seinem Befreiungsversuch brannte eine Sicherung beim Rollstuhl durch und er musste fortan geschoben werden. Die Betreuenden waren am Jammern, Ben am Fluchen und der Rest der Reisegruppe am Lachen. Leider hat jede Reise auch ein Ende, und das kam am Montag. Wir mussten früh aufstehen, da eine lange Rückreise vor uns lag. Jene, die bis vier Uhr wach gewesen waren, sahen aus, als ob Albert Einstein persönlich sie frisiert hätte. Nach einer beinahe endlosen Rückfahrt kamen wir gegen Abend alle wohlbehalten in der Mathilde Escher Stiftung an. Holland war meiner Meinung nach das ­perfekte Reiseziel gewesen. Was bleibt, sind der Stolz, Hürden gemeistert zu haben, und tolle Erinnerungen.